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Onlinehändler mit 475 Verkäufen in sechs Jahren handelt nicht gewerblich

Ein eBay-Verkäufer hatte sich als „privater Verkäufer“ angemeldet und einen Bewertungspunktestand von etwas weniger als 600 erreicht. Ab Mitte 2008 wurde nur noch verkauft, und zwar 475 mal. Hierbei verkaufte er regelmäßig gleiche Waren aus denselben Segmenten und hatte über einen längeren Zeitraum eine zweistellige Zahl von Angeboten bei eBay eingestellt, fast nur Neuware in der Originalverpackung. Über ein ganzes Jahr gesehen verkaufte er nur anhand seiner Bewertungen ungefähr jeden dritten Tag einen Artikel. Deshalb war er abgemahnt und dazu aufgefordert worden, sich demnächst nicht mehr „privater Verkäufer“ zu nennen. Der Fall ging vor Gericht.

Dort sah der neunte Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in den o. g. Tatsachen keinen hinreichenden Nachweis gewerblichen Handelns. In seinem Urteil vom 28.05.2014, 9 U 13/14, führt es dazu aus:

a) Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Unternehmenseigenschaft des Beklagten und damit dessen gewerbliche Tätigkeit darzulegen und zu beweisen. Denn der Beklagte ist im Internetauktionshaus eBay nicht als sog. „Powerseller“ aufgetreten. Nur in diesen Fällen nimmt die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Verbrauchers an (MüKo BGB/Micklitz, 6. Auflage, § 14 Rn. 29 m.w.N.).

b) Die vom Kläger vorgebrachten unstreitigen Indizien lassen den Schluss auf eine gewerbliche Tätigkeit des Beklagten nicht zu:

aa) Die vom Beklagten angebotenen Waren stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Kugellager, Glühbirnen aus DDR-Produktion, Passscheiben, Briefmarken des Deutschen Reiches, Edelstahlmuttern, Schlauchschellen, Schlauchkupplungen, gebrauchte Schuhe, gebrauchter Anzug etc. … Zwar überwiegen die Metallwaren, es ist für eine gewerbliche Tätigkeit jedoch eher untypisch, wenn Metallwaren zusammen mit Briefmarken, Glühbirnen und gebrauchter Kleidung angeboten werden.

bb) Gegen eine gewerbliche Tätigkeit spricht weiter die Preisgestaltung:

So sind alle Waren in der Angebotsübersicht K3 (Bl. 24 d. A.) zusammengestellt jeweils mit einem Startpreis von 1,00 € angeboten. Die Versandkosten liegen zwischen 2,00 € und 5,00 €. Dabei sind nur für einen Artikel Versandkosten in Höhe von 5,00 € angegeben. Für die übrigen Artikel werden 2,00 € bzw. 2,50 € an Versandkosten verlangt. Diese Preise erscheinen auf den ersten Blick nicht kostendeckend.

Dies bestätigt eine Internetrecherche. So bot zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Internethändler CONRAD (www.conrad.de) das FAG Kugellager 6004-C-2HRS für 10,35 € zuzüglich Versandkosten an. Eine Suchmaschinenabfrage ergab, dass dieses Kugellager auch sonst im Internet in dieser Preisgrößenordnung gehandelt wird. Der Senat darf diese Informationen gemäß § 291 ZPO als offenkundige Tatsache zugrunde legen. Denn nach ständiger Rechtsprechung sind dies Informationen aus allgemein einfach zugänglichen, zuverlässigen Quellen.

Der Beklagte hatte das gleiche Kugellager mit einem Mindestpreis von 1,00 € angeboten. Bei einem gewerblichen Verkäufer würde man eher erwarten, dass er einen Mindestpreis für die Auktion vorgibt, der verhindert, dass er Verlust macht.

Zwar ist eine Gewinnerzielungsabsicht für ein gewerbliches Handeln nicht unbedingt erforderlich. Dennoch erweckt eine solche Preisgestaltung beim Kunden den Eindruck, dass Waren hier um jeden Preis abgestoßen werden sollen. Auch der Verkauf von Glühbirnen aus DDR-Produktion legt nahe, dass es sich hierbei um Restbestände handelt. Denn diese werden – wie allgemein bekannt ist – seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr produziert.

cc) Zwar kennt auch der gewerbliche Handel Räumungsverkäufe. Für einen Räumungs-verkauf fehlt es aber an jedem weiteren Indiz. Denn die Gestaltung der Anzeigen ist schlicht unprofessionell. Jede Werbung und insbesondere der Hinweis auf einen Räumungsverkäuf fehlt.

dd) Die bloße Zahl der Verkäufe allein reicht in Anbetracht der übrigen Umstände nicht aus, um eine gewerbliche Tätigkeit des Beklagten anzunehmen. Zum einen ist die Zahl der Verkäufe über einen verhältnismäßig langen Zeitraum gestreckt. Zum anderen spricht das bunte Sortiment dafür, dass Waren, die zu einem Privatvermögen gehören, sukzessive abgestoßen werden sollen. Hätte der Beklagte seine Vorräte an Metallwaren als Konvolut in einer einzigen Auktion angeboten, wäre eine unternehmerische Tätigkeit von vornherein ausgeschieden. Allein durch die Tatsache, dass er die einzelnen Waren getrennt verkauft, kann nichts anderes gelten.

ee) In der Gesamtschau ist es dem Kläger damit nicht gelungen, die Behauptung des Beklagten zu widerlegen, dass er Gegenstände aus seinem Privatvermögen, die er von seinem Vater geschenkt bekommen habe, sukzessive verkauft habe.“.

Fazit: Wenn Sie bei Angeboten von Neuware in der Originalverpackung nicht als Gewerbetreibender erscheinen wollen, mischen Sie einfach neben viele Metallwaren ein paar Briefmarken des Deutschen Reiches, Glühbirnen und gebrauchte Kleidung, und schon sind Sie nach Ansicht des Oberlandesgerichts Naumburg sechs Jahre lang berechtigt, pro Jahr etwas weniger als hundert Artikel zu verkaufen, ohne sich dafür als gewerblicher Verkäufer anmelden zu müssen. Denn der gleichzeitige Verkauf dieser Waren ist absolut untypisch für einen Gewerbetreibenden. Außerdem würden Sie bei zusätzlicher niedriger Preisgestaltung sechs Jahre lang den Eindruck vermitteln, Waren um jeden Preis abstoßen zu wollen, weswegen man Sie nicht für einen Gewerbetreibenden halten kann und Sie es folglich auch nicht sind. Gestalten Sie Ihre Angebote möglichst „unprofessionell“. Denn dann ist auch ausgeschlossen, dass es sich um einen Räumungsverkauf handelt.

Zudem scheint sich das Oberlandesgericht bestens mit der Marktsituation auf dem Markt für Metallteile auszukennen. Hierzu hatte der Beklagte nichts vorgetragen. Jedenfalls finden nach den Regeln der ZPO und des BGB Ermittlungen zu Einwendungen im jetzt geltenden Zivilrecht eigentlich nicht von Amtswegen statt. Warum gerade die Internetseite conrad.de in besonderer Weise repräsentativ sei, erklärt das Gericht nicht, welche Internetsuchmaschine es als Beweismittel heranzog, ebenfalls nicht. Warum es auf die Frage der Kostendeckung ankommen soll, ist fraglich. Dabei hatte das Gericht in seinen Eingangsfeststellungen noch selbst bemerkt, dass:

Beim Verbrauchsgüterkauf setzt das Vorliegen eines Gewerbes und damit die Unternehmerstellung des Verkäufers nicht voraus, dass dieser mit seiner Geschäftstätigkeit die Absicht verfolgt, Gewinn zu erzielen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Verbraucherkreditrecht (BGHZ 155, 240, 246) und auch der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum zur Auslegung des für § 474 BGB maßgeblichen Unternehmerbegriffs in § 14 I BGB (…).“.

Jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH, wonach jedes konstante Auftreten auf dem Markt ausreicht, damit jemand als Gewerbetreibender zu qualifizieren ist, und mit der Entscheidung des BGH, Urteil vom 04.12.2008, Az. I ZR 3/06, fehlen. Danach reichen 66 Verkaufsbewertungen in einem Dreivierteljahr für die Annahme gewerblichen Handelns aus.

Eine kuriose Entscheidung.